Ältere Tierethische Positionen

Seit tausenden von Jahren denken Menschen darüber nach, was den Menschen ausmacht und wie er Tiere behandeln soll.  

In der Disziplin, die wir „Tierethik“ nennen, fragt man sich grob gesagt, wie wir es mit den Tieren halten sollen. Beispielsweise wird gefragt: Müssen Tiere tun, was wir Menschen wollen? Können wir sie guten Gewissens für Experimente gebrauchen? Dürfen wir sie töten und essen? 

TierthikerInnen wollen, kurz gesagt, wissen, welche Pflichten wir Tieren gegenüber haben und wie ein gutes und gerechtes Verhältnis zu unseren tierischen Mitgeschöpfen aussehen könnte.  

Jahrhundertelang wurde ein tiefer Graben zwischen Mensch und Tier angenommen. Neuere naturwissenschaftliche Erkenntnisse haben diese Trennung längst relativiert. Man hat erkannt, dass Tiere einzigartige und unersetzliche Individuen sind, viele von ihnen mit ausgeprägter Persönlichkeit. Und wir lernen tagaus, tagein noch mehr dazu. 

Neuere Erkenntnisse nehmen den verantwortungsfähigen Menschen in die Pflicht, einen achtsameren, mitfühlenderen und gerechteren Umgang mit dem Tier zu pflegen. Tatsächlich wächst in vielen Menschen die Sensibilität dafür, dass unser Umgang mit den Tieren in mannigfacher Art neu zu denken und zu gestalten ist. In der Praxis werden jedoch so viele Tiere wie nie eingesperrt und als «Nutztiere» gebraucht, was ethisch höchst bedenklich ist.  

Schon lange vor Christi Geburt befasste man sich mit der Frage, wie das Verhältnis von Mensch und Tier sei und wie mit den Tieren umzugehen sei. 

Laut dem griechischen Philosophen Aristoteles (gest. 322 v. Chr.) sind die Pflanzen um der Tiere willen und die Tiere (und die Pflanzen) um der Menschen willen geschaffen. Anders ausgedrückt, dient nach Aristoteles die jeweils „niederere“ Lebensform der höheren. Der Mensch unterscheidet sich vom Tier durch seine Vernunft- und Sprachbegabung. Immerhin gesteht er allen Lebewesen Seelen zu, wenn auch unterschiedlich funktionierende.  

Aristoteles’ Denkmodell, hier sehr verkürzt wiedergegeben, prägte nachkommende Philosophen massgeblich. 

Andere Philosophen der Antike propagieren immerhin den Verzicht auf Tieropfer und zumindest teilweise die vegetarische Lebensweise. Bei solchen Ansichten etwa von Pythagoras (gest. um 497/496 v. Chr.) und seinen Anhängern spielen indes hauptsächlich Reinlichkeitsbedenken und der Glaube an die Seelenwanderung (Wiedergeburt) die Hauptrolle, nicht primär Mitgefühl und Moral. 

Theophrast (gest. 287 v. Chr.) legt den Fokus auf die körperlichen und geistigen Ähnlichkeiten von Mensch und Tier, aufgrund dessen Tiere fair zu behandeln seien. Spätere Autoren der griechischen Antike wie Plutarch (gest. um 125 n. Chr.) und Porphyrios (gest. 305 n. Chr.) betonen die Ähnlichkeiten zwischen Mensch und Tier, wobei sie Letzteren eine dem Menschen nicht unähnliche Seele und Gefühlspalette sowie Vernunft zuschreiben.  

Mittelalterliche Theologen greifen auf das Denken in Aristotelischer Tradition zurück und propagieren, dass Gott die Tiere für den Menschen geschaffen, ergo dieser sie essen und anderweitig nützen dürfe. 

So gesteht etwa Thomas von Aquin (gest. 1274) Tieren zwar ebenfalls eine Seele zu, im Unterschied zur unsterblichen Seele des Menschen vergehe diese aber bei dem Tod des Tieres. Ausserdem sei nur der Mensch als göttliches Ebenbild geschaffen und mit Verstand ausgestattet worden. Tiere seien zum Gebrauch durch den Menschen bestimmt.  

Auch die frühe Neuzeit bringt keinen massgeblichen tierethischen Fortschritt, im Gegenteil. Es entsteht ein „mechanistisches Weltbild“, in dem Leben und Universum strengen Gesetzmässigkeiten folgen.  

Besonders prominent scheint die Theorie der mechanistischen Welt bei dem französischen Philosophen René Descartes (gest. 1650) auf, der nichtmenschliche Lebewesen als lebendige Automaten ohne Gefühle des Schmerzens und Wohlbefindens interpretiert, und nur dem Menschen eine unsterbliche und vernünftige Seele zuspricht. 

Die Aufklärungsphilosophen John Locke (gest. 1704) und Immanuel Kant knüpfen an Descartes’ Position an. Auch Locke vertritt die sogenannte „anthropologische Differenz“ und stellt den Menschen über das Tier. Zwar anerkennt er tierliche Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit, münzt diese Erkenntnis allerdings nicht in ethische Überlegungen um. 

Wie für Descartes ist auch für Kant (gest. 1804) die Vernunft, die den Menschen über das Tier hebt. Als Vernunftwesen besitze der Mensch einen absoluten Wert. Tiere hingegen haben nach Kant einzig einen relativen Wert, weswegen sie für menschliche Zwecke benutzt werden dürfen. Kant glaubt aber auch, dass man selbst zu verrohen drohe, wenn man Tieren gegenüber Gewalt anwendet. 

Es gibt in der Philosophie der Neuzeit durchaus andere Positionen und Ansätze. Zeitlich noch vor Descartes fragt Michel de Montaigne (gest. 1592): Wenn ich mit meiner Katze spiele, wer weiss denn, ob sie sich nicht eher die Zeit mit mir vertreibt, als ich mit ihr? 

Montaigne dachte weiter zum einen, dass eine Kommunikation zwischen Mensch und Tier möglich sei, und zum anderen, dass Tiere denken und fühlen und keineswegs vernunftlose Wesen seien. Auch das Tierbild David Humes (gest. 1776) scheint für seine Zeit recht fortschrittlich, indem er Tieren intelligente Denkleistungen zuerkennt. 

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts rücken Gefühl und Empathie gegenüber der Vernunft in den Vordergrund. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von Sentientismus (von lat. sentire = fühlen, empfinden) oder von Pathozentrismus (griech. pathos = Leid). Es handelt sich bei diesem Konzept um einen ethischen Ansatz, wonach alle empfindungsfähigen Wesen moralisch berücksichtigt werden sollten (im Umkehrschluss alle nicht empfindungsfähigen jedoch nicht). 

Jeremy Bentham (gest. 1832) fragt in seiner „Introduction to the Principles of Morals and Legislation“ (1789): Die Frage sei nicht, ob sie (die Tiere) logisch denken oder sprechen könnten, sondern ob sie leiden könnten. Dieses prägnante Diktum gilt heute als tierethischer Klassiker.  

Arthur Schopenhauer (gest. 1860) zieht die Tiere ausdrücklich in seine Mitleidsethik ein. Dieser liegt die Annahme zugrunde, dass zwischen allen Lebewesen eine tiefe, und im hauptsächlichen gleiche, Verbindung bestehe, welche Empathie und Solidarität begründe. Aufgrund dessen ergäben sich allen Lebewesen gegenüber direkte Pflichten: Einerseits, niemandem zu schaden, und andererseits, Mitlebewesen wo immer möglich zu helfen. 

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts revolutionieren neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse das Denken. Charles Darwin legt mit seinem Werk "The Origin of Species" (erschienen 1859) das Fundament unseres heutigen Wissens über die Entstehung und Entwicklung der Tier- und Pflanzenarten. Der Menschen wird als Tier unter Tieren eingeordnet.  

Teil 2: Neuere Tierethische Positionen